Agaricus - nur einen Tic anders
Wir starten heute mit einem schlechten Witz. Leider passte er doppelt gut zum Thema…
Häschen: "Haddu Fliegenpilz?" Verkäufer: "Nein hab ich nicht!" Das Häschen fragt am nächsten Tag nochmal: "Haddu Fliegenpilz?" Verkäufer: "Ja, extra für dich aus dem Wald geholt!" Häschen: "Muddu wegschmeißen! Is giftig!"
Agaricus gehört zu den sogenannten Drogenmitteln. Und tatsächlich war der Fliegenpilz eine traditionelle Droge der indigenen sibirischen Völker – und zwar nicht nur der Schamanen dort. Auch das gemeine Volk berauschte sich gern an dem Pilz.
Und liest man sich dann zum Beispiel bei William Boericke die Symptome einer Fliegenpilz- bzw. Muscarinvergiftung durch, dann kann man sich als homöopathische Anfängerin wohl fragen, ob man jemals eine Agaricus-Patient:in in der Praxis antreffen wird. Aber wie das so ist mit den homöopathischen Mitteln, trifft man sie natürlich immer früher oder später.
Trotzdem ist es meist spannend, mal eine Prüfung mit dem „echten Stoff“ zu beobachten
Vor einigen Jahrzehnten hatte ich mitten in Deutschland das zweifelhafte Vergnügen, unfreiwillig einen jungen Mann bei seinem Drogenexperiment mit einer Überdosis Fliegenpilzen intus begleiten zu dürfen.
Was im Nachhinein interessant wirkt, war damals kein reines Vergnügen – jedenfalls nicht für mich. Nach der euphorischen Phase mit infantilen Fröhlichkeitsanfällen wurde er zunächst ruhiger, murmelte unverständlich vor sich hin, kicherte auch mal, sang ein paar Takte. Sein Geist schien bis zu einem bestimmten Zeitpunkt jedenfalls ziemlich aktiv zu sein, wenn er auch null Reaktionen zeigte auf Ansprache oder Fragen. Als er in eine Art Bewusstlosigkeit fiel, den von Boericke beschriebenen Sopor, riefen wir schließlich einen Arzt zu Hilfe, der jedoch Entwarnung gab und zur Beobachtung und dem löffelweisen Einflößen warmer Milch riet. Wieder ausgenüchtert und nach einem langen Schlaf überkam den jungen Mann eine große Melancholie, und das nicht, weil wir ihm ein lebenslanges Hausverbot für unsere „Landkommune“ erteilten …
Der Fliegenpilz in der Homöopathie
Zwanzig Jahre später staunte ich nicht schlecht, als ich während der Homöopathieausbildung das Arzneimittelbild von Agaricus kennenlernte und mich in dem Zusammenhang auch mit den sibirischen Schamanen beschäftigte.
In der Homöopathie kennen wir Agaricus ja sehr gut, zum Beispiel als potentes Mittel für hyperaktive Kinder, auch bei Gebärmuttersenkung, bei Erfrierungen natürlich, Parkinson, MS, Schlaganfall, Fazialisparese, Parästhesien, Neuralgien usw. Bei Allergien, besonders gegen bestimmte Eiweiße und Enzyme, ist es auch bekannt. In der Rubrik „Heuschnupfen – jährlich“ (Complete) finden wir es allerdings nur einwertig in einem Nachtrag von Vithoulkas.
Warum sollte man Agaricus trotzdem im Zusammenhang mit Heuschnupfen kennen?
Die typischen Heuschnupfensymptome von Agaricus ähneln stark denen von Wyethia. Und ich habe einige Male Wyethia erfolglos verordnet, und Agaricus hat dann anschließend den Erfolg gebracht.
Wyethia ist natürlich eins unserer wichtigsten und häufigsten Heuschnupfenmittel. Es hat dieses heftige Jucken von Gaumen und Ohren und der Eustachischen Röhre. Die Betroffenen reiben den Gaumen mit dem Finger, versuchen dem Juckreiz in den Ohren mit einem Kugelschreiber oder anderen Gegenständen beizukommen. Dabei haben sie oft die Empfindung von Trockenheit oder einer trockenen Stelle am Gaumen oder im Hals.
Agaricus hat auch dieses Trockenheitsgefühl, allerdings mit viel Speichel. Und auch das heftige Jucken im Gehörgang und in der Eustachischen Röhre, oft schlimmer beim Leerschlucken, ist bekannt. Außerdem juckt die Nase – innen wie außen – , die Augen – muss sie reiben. Oft juckt auch die Kopfhaut oder andere Stellen am Körper. Es kann jede Stelle betroffen sein. Auch der Gaumen, obwohl selten in der Materia medica oder im Repertorium beschrieben.
Das Jucken von Agaricus hat aber nicht diesen „wollüstigen“ Aspekt, den wir bei Wyethia antreffen. Es ist meist auf der Grenze zum Brennen oder zum Stechen, also zum Schmerz. Und es kann schwierig sein, das beim Patienten zu erfragen, vor allem, wenn er oder sie noch nicht so geübt darin ist, seine Symptome genau zu beobachten und zu beschreiben.
Aber da ist noch etwas
Vor einigen Jahren hatte ich eine junge Frau am Telefon, die ich wegen ihrer Depressionen behandelte. Dann trat ihr jährlicher Heuschnupfen auf, typischerweise nicht ganz früh im Jahr, sondern Ende Mai, Anfang Juni, wenn die Gräserblüte beginnt.
Ich verordnete ihr Wyethia, weil sie die typischen Symptome beschrieb, und ich dachte: Alles klar, der Nächste bitte!
Aber dem war leider nicht so. Eine Woche später kam sie in die Praxis. Das erste Gespräch hatten wir am Telefon geführt. Und da saß sie nun und wirkte fröhlicher als ich sie kannte – ein bisschen aufgekratzt –, sprach einen Tick lauter als ich es von ihr gewohnt war und beschrieb mir nochmals ihre Symptome. Mittlerweile hatte sich ein Husten zu ihren anderen Beschwerden gesellt, sogar mit etwas schleimigem Auswurf.
Mir fiel auf, dass sie ab und zu ihre Augen fest zusammen kniff, also weit über das Maß eines normalen Lidschlags hinaus. Darauf angesprochen musste sie erst überlegen und erklärte es sich dann so, dass sich ihre Augenpartie manchmal so steif anfühlte und sie es vielleicht deshalb machte – halb bewusst, halb unbewusst.
Da war das Mittel klar: Die typischen Tics von Agaricus! Man findet sie doch meistens – allerdings oft nicht am Telefon.
Der Husten passte auch, das Steifheitsgefühl im Gesicht, das Aufgekratzte, das laute Sprechen … Ich habe natürlich noch ein bisschen nachgefragt, was typische Agaricussymptome angeht, aber da war nicht viel zu finden. Vielleicht hatte sie etwas häufiger Harndrang als sonst. Nachts hatte sie zweimal Wadenkrämpfe gehabt, was untypisch für sie war. Aber ansonsten war nichts auszumachen.
Sie nahm in diesem Jahr ein paarmal Agaricus C 30 ein, immer, wenn die Symptome wieder kamen, und im nächsten Jahr waren wir dann mit der chronischen Behandlung soweit, dass sie kein Akutmittel mehr für die Allergie benötigte.
Fazit: Agaricus ist nicht eins der häufigen Akutmittel für die Heuschnupfenbehandlung. Aber wir sollten es auf dem Schirm haben.
Viel Erfolg in der Heuschnupfensaison!
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