Tierische Maskeraden in der homöopathischen Praxis

"Da simma dabei, das ist pri-i-ma ... !" Diese Melodie ertönt in meinem Ohr automatisch, wenn ich an Karneval denke. Und passend zum offiziellen Start in die fünfte Jahreszeit möchte ich heute etwas über die „tierischen Verkleidungen“ in der Praxis berichten.

Wer kennt es nicht. Die Patientin hat Platz genommen und nach zehn Minuten ahne ich: Da sitzt eine Löwenmutter. Sechs Wochen später nach der ersten Mittel Gabe Lac leoninum C200 bin ich mir dann auch sicher. Ihr Aggressivität ist deutlich besser geworden, die Schwellung der Augenlider hat sich um 70% verbessert und die schlimmen Blähungen sind auch verschwunden. Das sind die tollen Momente in meiner Praxis, darum liebe ich meinen Beruf so sehr. Aber wie oft möchte ich vor Verzweiflung in die Tischkante beißen?

Homöopathische Ausbildung Fluch & Segen zu gleich

Wie viele andere habe auch ich eine dreijährige SHZ-Grundausbildung durchlaufen und bin danach voller Tatendrang in meiner Praxis gestartet. Die ersten Patienten trudelten ein, ich habe brav meine Fragen gestellt und habe auch tolle Antworten bekommen. Doch kaum fuhren die Patient:innen vom Parkplatz, stellte sich bei mir Verzweiflung ein. Nach zwei Stunden Erstanamnese, einer Liste voller Symptome und Emotionen stand ich wie der Ochs vorm Berg.

Ich hatte keine Idee, welches Mittel meine Patient:innen brauchten. Es war alles und nichts. Stundenlang durchforstete ich meine Aufzeichnungen und repertorisierte mir einen Wolf. Tagelang habe ich mir Gedanken gemacht: “Aber sieht so Sepia aus? Die Frau hasst Joggen… Das kann doch nicht Natrium sein, die trinkt doch gar nicht… Das sind so viele Mercurius-Symptome - aber ich kann dem doch nicht Mercurius geben, davor hat unsere Dozentin doch immer gewarnt…” Du kennst diesen Zustand vermutlich.

Natürlich müssen die Arzneimittelbilder in der Ausbildung maximal plakativ und überspitzt sein, denn ansonsten haben Schüler:innen gar nichts in der Hand. Leider zeigen sich “echte” Patient:innen nicht so und falls doch “kann das ja nicht mit rechten Dingen zu gehen”.

Manchmal ist Homöopathie auch ganz einfach

Ich werde nie vergessen, drei Monate nach der Eröffnung der Humanheilpraxis, kommt eine Mutter mit ihrem schwerkranken Sohn zu mir. Als tolle Therapeutin hatte ich die Spielecke auf Vordermann gebracht und ihm diverse Spielzeuge zur Auswahl hingestellt. Pustekuchen! Der Junge weigerte sich meine Praxis zu betreten. Es war nix zu machen. Mit der Mutter konnte ich auch nur kurz und schnell sprechen, weil die Schiebetür zum Garten komplett geöffnet werden konnte und ihr Sohn draußen im Kies mit dem Bagger spielte. Wir hatten 30 Minuten Zeit eh ihr Sohn “unbedingt nach Hause musste, weil er sonst verhungern würde”.

Ich schaute auf meinen Zettel, mit viel Phantasie hatte ich vielleicht 12 Symptome aufgeschrieben. Leider waren es “nur” Tuberculinum-Symptome. Aber das konnte ja nicht sein bzw. das war sicherlich Zufall. Die Mutter war schon bei zig Ärzt:innen gewesen und keiner hatte ihr helfen können. Keine Ahnung wie viel Mittel ich in Betracht gezogen habe, aber es waren einige. Immer wieder blieb ich bei Tuberculinum hängen. Ich rief Kolleginnen aus meiner Ausbildung an: “Das klingt wie Tuberculinum, aber du kannst dem Kind doch nicht einfach Tuberculinum geben… XYZ hat da immer vor gewarnt…” und so weiter. Aber es nützte ja nix, ich musste dem Jungen ein Mittel geben, ewig kann man den Moment der Verschreibung nicht rausschieben. Er bekam Tuberculinum und tadaaaaaa es half natürlich. Es war DAS Mittel für diesen Jungen. Er hat sich prächtig entwickelt und alle Symptome verschwanden. Letztens hat die Mutter mir erzählt, dass sie das leere Arcana-Fläschchen noch heute hat, weil es so ein Wundermittel für ihren Sohn war.

Homöopathie ist so einfach und kompliziert zu gleich

Damals dachte ich dieses Gefühl wird irgendwann besser. Wenn ich nur ausreichend Patient:innen behandelt hätte, wird es ganz sicher besser. Heute weiß ich, das ist Quatsch und ich weiß auch, dass die erfahrensten Kolleg:innen immer wieder die Symptome von Calcium carbonicum und Sulfur nachlesen. Irgendwann akzeptiert man einfach:

Homöopath:innen bleiben für immer in Ausbildung

Natürlich hilft Erfahrung und natürlich bleibt auch Wissen hängen, aber viel wichtiger ist meiner Meinung nach, dass man das richtige Werkzeug hat. Denn ich werde niemals alle Mittel kennen. Das ist praktisch überhaupt nicht zu realisieren. Was ich aber lernen kann ist:

Wie finde ich das passende homöopathische Mittel?

Ein wichtiger Faktor ist in meinen Augen die Phantasie und Unvoreingenommenheit. Jedes Individuum, das ich behandle ist einzigartig und ich weiß nichts über es. Die letzten Jahre mit Corona haben es uns doch bewiesen. Fünf Menschen haben COVID und trotzdem haben alle ihre eigenen, individuellen Symptome. Selbst wenn zwei das gleiche Mittel benötigen, weichen in der Regel die Potenz und/oder das Folgemittel voneinander ab. Ist das nicht faszinierend? Alle 5 haben den gleichen Erreger und auch gemeinsame Symptome, wie Fieber oder Kopfschmerzen, trotzdem unterscheiden sie sich in den Feinheiten sehr.

Anamnesetechnik, Anamnesetechnik und nochmal Anamnesetechnik

Die Anamnese bildet die Basis für jede Verschreibung! Ist die Anamnese blöd, wirst Du auch kein gutes Mittel verschreiben. Das ist einfach so. Ich spreche hier auch nicht nur von 2-3 stündigen Anamnesen, sondern auch von Akutbehandlungen nach einem zehn minütigen Telefonat. Auch hier macht es einfach einen großen Unterschied, ob Du die Causa ermitteln konntest oder nicht. Es macht einfach einen großen Unterschied, ob Du die Begleitsymptome abgefragt hast oder nicht.

Wieso kommt dieses Thema dann irgendwie immer zu kurz?

Sicherlich weil jede ihren eigenen Weg finden muss, aber vermutlich auch, weil es erstmal viel mehr Spaß macht gute Fälle vorzustellen und den persönlichen Blick auf ein Mittel zu teilen. Der Weg dorthin ist meist sehr steinig und schwer. Da muss man auch mal ehrlich sein, vor den meisten richtig guten Verschreibungen steht oft eine lange Liste “falscher” Mittel und über die reden wir logischerweise erstmal nicht so gerne.

Da Veronika und ich bekannt dafür sind es erstmal alles anders zu machen, schwimmen wir auch bei diesem Thema gegen den Strom. Wir haben uns den kollegialen Support auf die Fahne geschrieben und dazu gehört auch Dich in unsere Schatztruhe der Techniken blicken zu lassen. Uns geht es darum Dir zu zeigen, wie Du ein Mittel finden kannst, dass Du bis dato noch nicht mal auf dem Schirm hattest. (Führt übrigens manchmal auch dazu, dass ich feststelle, dass es meine Idee noch gar nicht als AM-Prüfung gibt…).

“Spurensuche - Anamnesetechniken zum Auffinden weniger bekannter Mittel” geht in die zweite Runde:

Am 17.11. ist es wieder soweit und wir sprechen ganz besonders über tierische Mittel in der Praxis. Es geht um die unterschiedlichen Gruppierungen und ihre charakteristischen Symptome, aber auch um das Problem Täter-Opfer-Beziehung innerhalb eines Arzneimittelbildes. D.h., dass Du bei einem jagenden Tier auch Symptome seiner Opfer finden wirst. Es wird auch um tierspezifische Gesten und Worte gehen, die Dir helfen können das passende Mittel zu finden.

Wie immer mit hohem praktischen Bezug, so dass Du das Erlernte direkt am nächsten Tag umsetzen kannst. Versprochen ;-) Melde Dich hier  schnell an! Du kannst live dabei sein und/oder hast dauerhaft Zugriff auf die Aufzeichnung und das Handout. Außerdem verspreche ich Dir, dass Du Fälle zu Mitteln vorgestellt bekommst über die Du noch nichts weißt! Es lohnt sich somit doppelt: "Da simma dabei, das ist pri-i-ma ... !"



PS: Es handelt sich um den zweiten Teil der Serie „Spurensuche“. Die Teilnahme am ersten Teil Spurensuche I ist KEINE Voraussetzung. Jeder Abend steht für sich alleine. Es gibt keine Überschneidungen.

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